Ereignis und Gewalt. Die novellistische Erzählprosa des frühen 19. Jahrhunderts (Heinrich von Kleist, Achim von Arnim und E.T.A. Hoffmann)
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Dissertation v. Herrn Kangnikoé Adama.pdf | Dissertation v. Herrn Kangnikoé Adama | 1.07 MB | Adobe PDF | View/Open |
Authors: | Adama, Kangnikoé | Supervisor: | Althaus, Thomas | 1. Expert: | Althaus, Thomas | Experts: | Dunker, Axel | Abstract: | Ausgangspunkt dieser Dissertation ist Georg K. Glasers Werk „Geheimnis und Gewalt“, aus dem Gewalt auf zweierlei Hinsicht zu betrachten ist: Glasers erste Erfahrungen im Schoss der Familie mit seinem gewalttätigen Vater und seine Erfahrungen bei der Teilnahme am 2. Weltkrieg. Glasers Erfahrungen mit dem rohen Vater prägen ihn so sehr, dass er später im Erwachsenenalter auf eine unbewusste Weise seinem Hund Gewalt antut. Kurz danach sieht Glaser in seiner Tat, dass er seinen Vater nachahmt. Hierbei entwickelt sich in Glasers Biographie eine Gewaltspirale, ein Perspektivenwechsel in einer Art von Täter/Opfer-Rolle. Diese Gewaltkette, diese Beobachtung bei Glaser frappiert und gilt als Anlass zum Thema dieser Dissertation. Das Hauptinteresse hierbei liegt an der Komplexität sowie an der Unterschiedlichkeit der Phänomene der Gewalt. Dabei ist zu untersuchen, inwiefern die unterschiedlichen Perspektiven auf Gewalt Wesentliches zur literarischen Diagnose der kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Situation des beginnenden 19. Jahrhunderts – vor dem Hintergrund großer gesellschaftlicher Veränderungen, von der Französischen Revolution bis zu den Befreiungskriegen gegen Napoleonische Invasionskriege – beitragen. Ziel der Arbeit ist deshalb die literarische Auseinandersetzung mit Gewalt des frühen 19. Jahrhunderts mit Rücksicht auf novellistisches Erzählen verständlich zu machen. Diese Forschung wird zunächst auf der Basis der aufklärerischen Grundlagen konzipiert, um die Anstrengungen der Pazifizierung und der Friedfertigkeit der Menschheit hervorzuheben, wobei danach auch anschließend ein Fokus auf die grundstürzenden Umwälzungen der Zeit und deren Folgen gelegt wird. Dem folgen eine ätiologische Frage der Gewalt und eine Sichtung der verschiedenen Aggressions- und Gewalttheorien. Zur besseren Erschließung des Problemgefüges kommt es zunächst auf die novellistische Disposition des Zusammenhangs Ereignis und Gewalt und dann anschließend auf den Geschehensperspektivenwechsel. Abschließend folgen nun die Arbeit am Korpus, an der Leitfrage und die Zusammenfassung der bisher gewonnenen Ergebnisse. Close Reading als Interpretationsansatz dient hierbei zur textinternen Analyse des Korpus und erkundet literarische Erzählzusammenhänge, die an dem Erzähldiskurs und an der Gewaltproblematik partizipieren. Da sich hier in den Texten zwei Gewaltformen grundsätzlich unterscheiden lassen, ist die Unterscheidung von Potestas und Violentia von großer Bedeutung. Mit diesen o. g. Theorien und Methoden kommt diese Forschung zur Feststellung, dass die Trennlinie zwischen den beiden Gewaltformen Potestas und Violentia manchmal verschwindet, oder zumindest zu verschwinden scheint. Die Tendenz, dass Potestas manchmal in ihren Mechanismen in Violentia zu substituieren sucht, offenbaren die Texte ganz deutlich. Jedoch, sie zeigen auch mit klaren Kanten, dass Potestas als Machtgefüge die Pazifizierung der Gesellschaft zu verantworten hat. Diese Beobachtung gilt den Texten als historische und zivilisatorische Orientierung, selbst wenn das Korpus die Grundprinzipien der Aufklärung als Utopie zu bezeichnen sucht. Diese Forschung kommt auch zur Erkenntnis, dass sich weiterhin das novellistische Ereignis mit der Gewaltdarstellung überschneidet. Der enge Zusammenhang wird durch die Plötzlichkeit, das Unerwartete und das Unvorhersehbare akzentuiert, wobei sich auch eine Perspektive auf Gewalt auftut. Besonders wichtig ist noch, wie die Gewalt immer den Wendepunkt bzw. die Wendepunkte in den Texten markiert. Damit geht auch natürlich einher eine neue Horizonterweiterung im Erzählzusammenhang. Eine der wichtigsten Erkenntnisse liegt an der Dialektik der Gewalt. Das Beispiel von Francoeur (siehe Arnim), der sich durch seine Selbstaggression heilt oder das Beispiel von den pervertierten Handlungen der Giftmörder (siehe Hoffmann), die zur Einrichtung der Chambre ardente veranlasst, spricht dafür Bände, dass Gewalt Gewalt bekämpft. Ähnlich ist auch das eschatologische Bild bei Kleist während des Erdbebens. San Jago in Kleists Text ist ein Ort, wo die Menschheitsdämmerung keinen Spielraum für Kompromiss oder Vergebung bereitstellt, wo das Gesetz leider nicht mehr das Individuum schützt, sondern es unterdrückt es. Der zu hohe Fanatismus führt hieran zu einem Blutbad. Als weitere Erkenntnis, ja aus einem ganz anderen Paradigma erscheint Arnims musterhafte Erzählung, mit Rosalie als deutscher friedfertiger Frau, die keine Gewalt anwendet, um die Gewalt ihres Mannes zu bekämpfen, sondern eher Liebe, um ihn zu heilen und zur Räson zu bringen. Auf diese Weise unterrichtet Arnims Erzählung, dass die direkte Antwort auf Gewalt nicht unbedingt Gewalt sein sollte. Liebe und Zuwendung können auch gerne Gewalt und Wut bändigen. Ferner erscheint die Gewalt in „Das Fräulein von Scuderi“ als eine Saugkraft, der Cardillac kaum widersteht. Seine besondere Vorliebe für das Kunstwerk, überschattet von krimineller Energie, steht Scuderis rettender Humanität gegenüber. In diesem Zusammenhang spielt die Gewalt alles in allem eine didaktische und therapeutische Rolle, sie dient auch einer kritischen Reflexion auf das ästhetische Paradigma romantischer Kunst. Die Gewalt, nämlich die Naturgewalt oder Potestas, fungiert als Mittel der Politik, sie sorgt für gesellschaftliche Ordnung und trägt zu geschichtlicher Entwicklung bei. |
Keywords: | Gewalt - Novelle - Aufklärung - Französische Revolution - Siebenjähriger Krieg - Potestas - Violentia - Frieden - Krieg - H. v. Kleist - A. v. Arnim - E.T.A. Hoffmann; Das Erdbeben in Chili, Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau; Das Fräulein von Scuderi - Dialektik der Gewalt | Issue Date: | 3-Nov-2021 | Type: | Dissertation | Secondary publication: | no | DOI: | 10.26092/elib/1171 | URN: | urn:nbn:de:gbv:46-elib54325 | Institution: | Universität Bremen | Faculty: | Fachbereich 10: Sprach- und Literaturwissenschaften (FB 10) |
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